3.2.1.1 pHstat-Versuch mit kontinuierlicher Endpunkt-Titration

Die Einstellung eines festgelegten pH-Werts in einer Suspension kann als kontinuierlich fortgesetzte Endpunkttitration ausgeführt werden (pHstat-Versuch), bei der die starke kinetische Hemmung des Phasenübergangs fest/gelöst berücksichtigt wird.
Ein pHstat-Versuch in Form einer Endpunkttitration bietet gegenüber dem entsprechenden Versuch, bei dem der pH-Wert durch Zusatz eines Säure/Base-Puffersystems stabilisiert wird (vergl. Kap. 3.2.1.2), mehrere Vorteile:

Die Titration eines Feststoff/Lösungs-Systems umfaßt zwei Abschnitte (vergl. Abb. 4)

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Abb. 4: Abschnitte einer Suspensions-Titration Eine rasch durchlaufene Anfangsphase, während der der Soll-pH-Wert noch nicht erreicht ist, wird von einer etwa 50-fach länger dauernden Hauptphase mit hochstabilem pH-Wert abgelöst.

Die Anfangsphase stellt die höchsten apparativen Anforderungen. In diesem Abschnitt muß eine sensible Regelung dafür sorgen, daß die Titrationsgeschwindigkeit der Distanz zum gewünschten pH-Wert und der Säure-/Basen-Charakteristik des Feststoffs in jedem Punkt der Titrationskurve angepaßt wird. Durch die schleppende Umsetzung des Feststoffs ist die "momentane" Pufferkapazität des Systems gering, der Titrationsalgorithmus muß einen Kompromiß zwischen rascher Annäherung des gewählten pH-Werts und möglichst kleinen "Überschwingern" der Regelgröße pH-Wert gewährleisten.
Die Hauptphase der Titration ist dagegen vergleichsweise unkritisch. Der inzwischen erreichte pH-Wert kann bei einer entsprechenden Dynamik der Dosierung auch bei geringer des Systems in engen Grenzen stabilisiert werden.

Für die Praxis ist die gleichzeitige Bearbeitung von mehreren Proben notwendig. Hierbei muß beachtet werden, daß alle Proben zu jedem Zeitpunkt des Versuchs unter der Kontrolle der pH-Regelung stehen. Bei den hier betrachteten Lösungsreaktionen ist das Gefälle geschwindigkeitsbestimmend, d. h., der Feststoff setzt sich rascher mit der Lösung um, wenn der pH-Wert durch ständige Dosierimpulse in engen Grenzen gehalten wird, als wenn in großen Zeitintervallen nachtitriert wird, der pH-Wert also zwischenzeitlich erheblich vom Sollwert abweicht.
Eine serielle Abarbeitung mehrerer Proben, wenn zum Beispiel eine Regeleinheit mit einer Dosiereinrichtung und einem Probenkarussell verwendet werden soll, ist daher ausgeschlossen; Mehrfachversuche müssen im Simultan-Verfahren kontinuierlich pH-geregelt werden, um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten.

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Abb. 5:Schematische Darstellung der Gerätekonfiguration für den pHstat-Versuch: Eine prozessorgesteuerte Regeleinheit kontrolliert das pH-Milieu von maximal acht Versuchen und übermittelt kontinuierlich den Versuchsstatus an einen angeschlossenen PC. Die Proben werden auf einem Kreisschüttler in Bewegung gehalten.

Zur Zeit der Verfahrensentwicklung standen auf dem Markt keine Titriersysteme zur Verfügung, die den speziellen Anforderungen einer Feststofftitration entsprachen. Kontinuierliche Titration mehrerer Proben über einen längeren Zeitraum mit einem "lernfähigen" Algorithmus gehört nicht zu Standard-Aufgabenstellungen, für die Laboratorien Titrierautomaten gewöhnlich einsetzen. Nach Vorversuchen mit einer Kombination eines gängigen Titrators mit einem Dosiergerät und einer Ventilsteuerung, mit der seriell acht Proben bearbeitet werden konnten, wurde die Neuentwicklung eines Geräts in Auftrag gegeben, das die formulierten Bedingungen für einen pHstat-Versuch optimal erfüllt und das zwischenzeitlich als Seriengerät in den laborbetrieb integriert wurde.
Das Titriersystem (vergl. Abb. 5) besteht aus einer Steuerungseinheit, die das pH-Milieu mit Hilfe von acht unabhängigen Dosiergeräten in acht gleichzeitig laufenden pHstat-Versuchen überwacht und einen kontinuierlichen Datenstrom an den angeschlossenen Personal-Computer übermittelt. Der PC übernimmt sämtliche weiteren Verwaltungsaufgaben, speichert die Daten für die spätere Auswertung und stellt die Titrationsdaten während der laufenden Versuche graphisch dar.
Als Titratoren wurden für die saure Titration Salpetersäure p. a., für die alkalische Titration Natronlauge p. a. gewählt. Das Auswahlkriterium für die Salpetersäure ist die niedrige Komplexbildungskonstante des Nitrations mit den im Versuch interessierenden Schwermetallkationen. Da während des Versuchs in Abhängigkeit von der Säureneutralisationskapazität ANC; (= Acid Neutralizing Capacity) zum Teil nicht unerhebliche Konzentrationen des Titrators in der Lösung vorhanden sind, muß darauf geachtet werden, daß Komplexreaktionen mit dem Anion keinen entscheidenden Einfluß auf die Mobilisierbarkeit der Schwermetallkationen haben. Andernfalls spiegelt das Versuchsergebnis nicht das pH-abhängige Lösungsverhalten wider, ein Problem, das beispielsweise auch beim Einsatz von pH-Pufferlösungen auftritt (vergl. Kap. 3.2.1.2). Das Nitrat-Anion spielt keine zentrale Rolle in Beurteilung von anthropogenen Immissionen (ohne Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Belastung des Grundwassers mit Nitrat-Stickstoff) und wird daher analytisch nicht erfaßt. Natronlauge wurde für die alkalische Titration ausgewählt, weil NaOH in höherem Reinheitsgrad als beispielsweise KOH erhältlich ist. Reaktionen von Schwermetallanionenkomplexen, die im alkalischen Bereich die dominierende Spezies darstellen, mit Erdalkaliionen sind für die Betrachtung pH-abhängiger Gleichgewichte nicht relevant.

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Abb. 6: Dynamikbereich der Titrierstation: Zwischen den punktierten Linien kann mit einer Säurestärke gearbeitet werden (2,5 mol/L). Der Bereich umfaßt Stoffe mit hoher (MV-Asche, kalkreicher Boden) und Materialien mit niedriger Pufferkapazität (z. B. einen oxidischen Kiesabbrand).

Ein entscheidendes Kriterium für die praktische Durchführung einer pHstat-Titration ist der dynamische Arbeitsbereich bei festgelegter Konzentration des Titrators. Die untere Grenze wird durch die minimale Zugabemenge der Dosiereinrichtung bestimmt, die obere Grenze durch die Anforderung, die Anfangsphase der Titration in einem noch zu definierenden Intervall durchlaufen zu können und das Titriervolumen zu begrenzen, um den analytischen Fehler gering zu halten. Für einen minimalen Dosierschritt von 1 mL und einer Begrenzung der Anfangsphase auf maximal eine halbe Stunde ergibt sich bei Verwendung einer 2,5-molaren Säure ein Dynamikbereich, der mehr als eine Dekade möglicher Neutralisationskapazitäten des Feststoffs überstreicht (Abb. 6).


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