3.2.1.2 pHstat-Versuch mit Säure-/Base-Puffersystemen

Es ist naheliegend, den hohen apparativen Aufwand einer pHstat-Titration durch den Einsatz von äquimolaren Puffer-Gemischen eines korrespondierenden Säure-Base-Paares zu vermeiden. Bei Verwendung organischer Puffersysteme ist der interessierende pH-Bereich nahezu lückenlos abdeckbar. Durch Substitutionen kann der pKs-Wert einer Verbindung zusätzlich entsprechend den Anforderungen verschoben werden; der Acetatpuffer kann beispielsweise im Feld zwischen der Essigsäure und der Trifluor-Essigsäure einen pH-Pufferbereich zwischen pH 4,75 und pH 0 überstreichen.
Der praktische Vorteil dieser Problemlösung tritt jedoch gegenüber massiven Nachteilen in den Hintergrund. Bei der Ermittlung der Mobilisierbarkeit umweltrelevanter Schadstoffe aus Festphasen müssen erhöhte Anforderungen an das verwendete pH-Puffersystem gestellt werden. Ein idealer pH-Puffer sollte minimale Komplexierungseigenschaften besitzen, um Scheinabhängigkeiten zwischen pH-Wert und beobachteter Mobilisierung auszuschließen, die von Komplexen zwischen Schwermetall und Puffersubstanz herrühren. Die Lösung muß ausreichend hoch konzentrierbar sein, um der hohen Neutralisationskapazität vieler Feststoffe begegnen zu können. Speziell dieser Aspekt ist bei hochpuffernden Abfallstoffen kritisch: Um den pH-Puffer universell einsetzen zu können, müßte entweder vor Versuchsbeginn die Säure-/Basenneutralisationskapazität des Materials getestet und der Puffer darauf angepaßt werden, oder die Konzentration pauschal so hoch gewählt werden, daß der pH-Wert auch bei extrem puffernden Substanzen stabil bleibt.

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Abb. 7: Versuche zeigen, daß bei gleichem pH-Wert in einem Titrationsversuch (vordere Reihe) geringere Konzentrationen auftreten als in acetat- bzw. succinatgepufferten Systemen (Lösungs-/Feststoffverhältnis 20, Elutionsdauer 18 Stunden).

Reale pH-Puffersysteme entsprechen nicht annähernd den oben formulierten Bedingungen. Verbindungen mit ausgezeichneten Puffereigenschaften sind oft auch gute Komplexbildner: Die funktionalen Gruppen, die als Protonendonatoren fungieren, können bei entsprechender räumlicher Anordnung auch kationische Schwermetalle in einen Komplex einbinden. Bei der Elution einer MV-Asche (vergl. Abb. 7) wurden bei Pufferung durch hochkonzentrierte Acetat- bzw. Succinatlösungen signifikant höhere Schwermetallmobilitäten in der Lösung erreicht als bei einem Vergleichsversuch, dessen pH-Wert durch kontinuierliche Titration fixiert wurde.

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Abb. 8: Abfallstoffe und Böden können sehr hohe Säure/Basen-Neutralisationskapazitäten haben. Die Grafik zeigt, welche Konzentration eines Acetat-Puffers mindestens notwendig ist, um den pH-Wert 4 der Suspension innerhalb von 0,2 Einheiten (obere Reihe) oder 0,5 Einheiten (untere Linie) konstant zu halten.

Ein zweiter kritischer Faktor ist die maximale der verwendeten Lösungen. Feststoffe können durch die ablaufende Gleichgewichtseinstellung mit der Lösung große Mengen H3O+-Ionen aufnehmen bzw. abgeben, die von dem eingesetzten Puffersystem über den gesamten Zeitraum des Versuchs umgesetzt werden müssen. Abbildung 8 gibt einen Überblick über die mindestens notwendige Konzentration einer Pufferlösung für die 24-stündige Elution verschiedener Böden und Abfallstoffe. Zur Elution von 100 g einer MV-Asche bei pH 4 benötigt man beispielsweise eine Acetat-Pufferlösung von etwa 1,5 mol/L; dieser Wert bietet noch keine Sicherheitsreserven. Materialien mit noch höheren Neutralisationskapazitäten - in Abb. 8 werden ein Galvanikschlamm und ein Emulsionsschlamm durch zwei Punkte oberhalb der MV-Rostasche repräsentiert - benötigen Konzentrationen des pH-Puffersystems, die zum Teil oberhalb der Löslichkeit des pH-Puffers liegen können.
Für den pH-Bereich zwischen pH 7 bis pH 3,5 wurden exemplarisch mehrere pH-Puffersysteme auf ihr Verhalten in schwermetallreichen Suspensionen untersucht:

- 0,2 M Kaliumhydrogenphtalat/Kalilauge-Puffer (pH 4),
- 0,1 M Citronensäure/Natronlauge-Puffer (pH 3,5),
- 0,5 - 1 M Ammoniumacetat/Salpetersäure-Puffer (pH 4,5, pH 7),
- 0,5 M Bernsteinsäure/Natronlauge-Puffer (pH 4),
- 0,25 - 0,5 M ß-Alanin/Salpetersäure-Puffer (pH 4,5),
- 0,1 M Imidazol/Salpetersäure-Puffer (pH 7).

Die meisten dieser Puffersysteme erfüllen mindestens einen der oben angeführten Punkte nicht. MORETTI & HENKE (1986) berichten, daß die neuentwickelte "Toxicity Characteristic Leaching Procedure" (TCLP) der amerikanischen Umweltbehörde EPA (U.S. ENVIRONMENTAL PROTECTION AGENCY, 1986) bei Anwendung auf alkalische Flugaschen Probleme bereitet. Der verwendete 0,1-molare Acetat-Puffer, der den pH-Wert auf pH 5 halten soll, wird durch die hohe Neutralisationskapazität des Materials überlastet. Die Autoren bemängeln, daß die Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen Eluaten nicht gewährleistet ist (MORETTI & HENKE, 1986).

Für die Elution von hochreaktiven Böden und Abfallstoffen bei konstant gehaltenem pH-Wert sind Säure/Basen-Gemische als pH-Puffersysteme nur in Idealfällen brauchbar, eine universelle Anwendung ist aufgrund von begrenzter und den komplexierenden Eigenschaften hochkonzentrierter pH-Puffer nicht praktikabel.


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